Die Dokumentation der jüdischen Gemeinde
Sicher seit dem ausgehenden Mittelalter gab es in Bleicherode eine jüdische Gemeinde. Im 18. Jh. wurden 100 und auch mehr jüdische Einwohner gezählt. Ihre Zahl nahm zu. In einem Nutzungsvertrag von 1791 gewährte die damalige Eigentümerin der Alten Kanzlei, Gräfin vom Hagen, der jüdischen Gemeinde die ewige und unentgeltliche Nutzung des im Obergeschoß der Kanzlei an der Westseite gelegenen großen Raumes als Synagoge (Raum 2). Die Vertragsurkunde ist erhalten (Raum 1). Als Zugang musste auf dem damals unbebauten Grundstück Nr. 132 eine hölzerne Außentreppe gebaut und eine Tür im Obergeschoß geschaffen werden. Der Weg durch das private Wohnhaus war wohl den Bewohnern des Privathauses nicht zuzumuten. Noch heute ist im Raum 2 der alte Türrahmen zu sehen. 1883 wurde die große Synagoge in der Obergebraer Straße eingeweiht und der Betraum aufgegeben.
Nach 1800 entwickelte sich infolge der Emanzipationsgesetzgebung die Teilnahme der jüdischen Bevölkerung am Wirtschaftsleben der Stadt zunehmend. Insbesondere auf dem Gebiet der Weberei. Die vielen Handweber in der Stadt und auf den Dörfern bezogen Garne von jüdischen Händlern und verkauften an sie fertige Leinenwaren. Die ersten mechanischen Webereien wurden nach 1850 auch von jüdischen Unternehmern gegründet: Schönheims Wwe.(Kirch-/Lindenstraße), Schlesinger (Niedergebra). Helft (Nordhäuser Straße). Andere jüdische Familien betätigten sich im Textilhandel. Es entstand das Bankgeschäft Frühberg. Diese Unternehmerfamilien errichteten stattliche Bürgerhauser (Bild Raum 1).
Am gesellschaftlichen und politischen Leben nahmen die jüdischen Bürger regen Anteil. Sie waren im Weltkrieg 1914-18 Frontsoldaten (Gefallene: Beyth, Rothenberg, Schönheim) oder Krankenschwestern. Sie stellten Vereinsvorsitzende, Schützenkönige und Mitglieder des Stadtparlaments. Samuel Rothenberg war Vorsitzender des Stadtrates und Ehrenbürger. Sie förderten mit Spenden das Wohl der Stadt und ihrer Bürger (Krankenhaus, Freibad). 1933 gab es ca. 130 jüdische Einwohner. Die Politik der Nazis führte zur Existenzaufgabe und Auswanderung, insbesondere nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938. In dieser Nacht wurde die Synagoge in Brand gesetzt und zerstört. 11 jüdische Bürger wurden verhaftet und in das KZ Buchenwald verbracht. Sie mussten sich zur Auswanderung verpflichten.
1939 bei Kriegsbeginn waren noch ca. 30 jüdische Bürger in Bleicherode. Nachweislich wurden 32 aus Bleicherode stammende jüdische Bürger von den Nazis umgebracht (Opfertafel). Einziger Überlebender war der Bankier Dr. Hans Frühberg, der sich bis 1943 der Deportation entziehen konnte, untertauchte und 1944 von einer Bleicheröderin denunziert wurde. Er überlebte das KZ Auschwitz.
Dr. Dirk Schmidt erstellte in jahrelanger Arbeit (internationale Korrespondenz und Archivbesuche) die Dokumentation mit dem Ziel, ein Bild vom Leben und Wirken der jüdischen Gemeinde und ihrer Familien in Bleicherode und ihrem Schicksal zu erhalten. So zeigt die Dokumentation Fotos aus dem Alltag der jüdischen Familien in ihrer Heimat Bleicherode. Deren Verlust haben sie auch im Ausland nie verwunden.
Bei den historischen Nachforschungen ergab sich auch aus Archivunterlagen, dass die im 19. und frühen 20. Jh. in Berlin erfolgreiche Bankierfamilie Bleichröder (Gerson Bleichröder war der Bismarck-Bankier) ihren Ursprung in Bleicherode hat. Der Urahn Gerson Bleichröder wurde in Bleicherode geboren und ging um 1740 als Jugendlicher nach Berlin (vgl. Bleichröder-Bildplatte, Raum 1). In den USA besteht noch eine Bleichröder-Bank.
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde von Bleicherode gehört auch der bis heute erhalten gebliebene und 1857 angelegte jüdische Friedhof am Hang des
Vogelsberges.
Weiterführende Informationen hier:
https://menora.uni-jena.de/pogrome-1938/bleicherode/?L=0